SEXUALITÄT ▶Der moderne MannDie Kastration eines RollenbildesILLUSTRATION: ILLUSTRATIONEN_FREEPIK.COMWas bleibt dem Mann des 21. Jahrhunderts noch? Er darf Chef sein? Das sind Frauendank Quote und durchschnittlich höherem Bildungsgrad auch. Er hat Geld? Haben Frauenauch. Er kann Kinder machen? Warum sich mit den Widrigkeiten einer Beziehungherumschlagen, wenn Frau sich heute ganz bequem(und völlig schweißfrei) künstlichbefruchten lassen kann?Der Mann ist neben der Rolle. Diktiert vomvermeintlich schwachen Geschlecht hat er inden letzten fünfzig Jahren eine wundersameWandlung durchgemacht. Neben der Beschreibungeiner haarlosen Kreatur, die romantischeKomödien liebt und gerne Zeit mit den Kindernverbringt, findet man bei der Google-Suchenach dem „modernen Mann“ unter anderemeine Liste von Verhaltensregeln für den Frauenversteherdes 21. Jahrhunderts. Unter deninsgesamt 33 Weichmachern finden sich Verallgemeinerungenwie „Unterschätze nie eineFrau!“ oder „Koche nicht nur für sie, sondernauch für dich allein (Steak zählt nicht)!“. Was istaus der Frau am Herd und Fertigpizza geworden?Die eine hat sich emanzipiert, die anderepasst nicht zum neuen Bild vom Mann, der aufseine Ernährung achtet und vorzugsweise Biokauft (und kocht).Gleich unter dem Blog – der sich auch noch„Schluss mit luschig“ schimpft, aber mit Ratschlägennur so um sich wirft, wie wir sie ausMagazinen wie „Cosmopolitan“ oder „Freundin“kennen – kommt die nächste digitaleEierklemme: der-moderne-mann.com. DerUntertitel der Website – „Die MetrosexuelleMänner Seite“ – steht stellvertretend für Ein-44 I/25
Text: Felix Justträge rund um Haargel und David Beckham.In der Bildersuche sehen wir Homo metrosapiens ungewöhnlich häufig in der Küche,mit dem Kind im Arm, aber immer gut rasiertund mit ölig glattem Haupthaar. Brusthaaresehen wir keine. Auch keine Tattoos. Kein Bierund kein Motorrad.Dabei es ist gar nicht lange her, da warenwir noch so männlich und maskulin. ÜberJahrhunderte wurde uns beigebracht, uns zubeweisen, zu messen – zu herrschen. In denallerwenigsten Kulturen und Zivilisationenspielten Frauen eine politische Rolle odererhielten gar die Legitimierung, die Geschickeeines Volkes zu lenken. Sie waren Mütter undHaushälterinnen. Nach dem Zweiten Weltkriegund spätestens mit der Frauenbewegungder 1960er- und 1970er-Jahre erfolgte die Kastrationdes männlichen Rollenbildes. Männersollten im Haus mit anpacken, zuhören, Verständnishaben. In den 1990ern kam es zumnächsten logischen Schritt in der Deformationdes Mannsbildes: Nachdem sein Wesen vonjedweden Spuren Testosterons befreit wordenwar, musste nun auch das Äußere des Mannesdran glauben. Wer sich nicht rasierte, galtnicht länger als männlich, er war ungepflegt.Die erste Welle von Pflegeprodukten, eigensfür Männer entwickelt, brach über uns herein.Augenbrauen wollten gezupft, das Brusthaarrasiert und die Intimzone gestutzt werden. Mitjeder Errungenschaft der Frauenwelt wurdeder Mann ein wenig kahler.Frauen durften dafür Moped fahren, furzenund sogar Helden sein. Hollywood diktierte:Helden haben jetzt Brüste. 1991 ist SarahConnor aus der „Terminator“-Reihe nichtlänger die Jungfrau in Nöten: Die Mutter desvermeintlichen Erlösers wird im zweiten Teilmit einem ganzen Arsenal an Waffen ausgerüstetund bekommt ein schlagfertiges Mundwerkverpasst, das mit den coolen Sprüchenvon Arnold Schwarzeneggers Charakter lockermithalten kann. „Buffy the Vampire Slayer“und „Xena“ ebnen den Weg für zukünftigeAction-Heroes wie Angelina Jolie und MichelleRodriguez.Mit fortschreitender Kastration sollten unsaber nicht nur seit Jahrhunderten zugesprocheneRollen und Modelle abgesprochenwerden. Neue Verbote wurden aufgestellt.Arschloch sein war nicht länger nur„typisch Mann“, es war ein echterFehltritt.Was bleibt also vom Mann? Ein paar ZentimeterSchwellkörper und ein breites Kreuz? Jein.Der trainierte Mann wurde zum Synonym füreinen Körperkult und eine kollektive Ästhetik,wie sie Frauen seit Jahrhunderten betreiben.Wir stecken uns selbst in Kategorien, stattunsere Individualität zu pflegen. In Chat-Portalenund Dating-Apps vergleichen wir unsmit all den anderen Torsos, die die digitaleSpielwiese zu bieten hat. Wir urteilen denBizeps anderer User ab und bleiben in Konversationenvage. Es gibt immer noch schönereMänner. Zwischen all den Sixpacks und glattrasierten Brustmuskeln tauchen aber plötzlichvermehrt haarige Bäuche und bärtige Gesichtergrinsender Typen auf. Schwule Männerstarten den Trend zur neuen Männlichkeit.Und die Frauen? Frauen finden es laut Lifestylemagazineneigentlich ganz toll, wenn ihrMacker auch mal einen auf Macho macht. FelixBaumgartner ist nicht länger ein Wahnsinnigermit Geltungsdrang, der Red-Bull-Stuntmanist ein Held. Bartträger gelten nicht mehr alsungepflegt, sie laufen nun unter „Hipster“.Und der „Out of Bed“-Look ist jetzt tatsächlichdas: ein Look! Wir emanzipieren uns von derEmanzipation.Wir wollen uns nicht in Schwertkämpfen die Köpfe einhauen, und irgendwieist es ja schon geil, so ein Sixpack, aber das sind Haare im Gesichtund Fertigpizza auch.45
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WELLBEING ▶FOTO: FREEPIK.COMSo ha
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