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hinnerk Februar / März 2025

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22 kulturINTERVIEWREGISSEUR OLIVER GRAF:„Theater setzt sich immer für Vielfaltund Diversität ein.“Das Ziel aller Beteiligten ist eigentlich ganz einfach: „Wir machen richtig Show!“, wie es der RegisseurOliver Graf gut gelaunt zusammenfasst. Er und sein Team bringen ab dem 22. Februar OscarStraus’ Operette „Hochzeit in Hollywood“ auf die Bühne des Theaters für Niedersachsen (tfn).„Mit Showboys und Showgirls. Einer Riesentorte.Einem Riesenchampagnerglas wie beimBurlesque. Und auch Sahnehauben und Kirschenspielen eine Rolle“, lacht er. Dabei nutzen erund sein Team dieses fast vergessene und mitgroßem Aufwand wiederentdeckte Stück füreinen durchaus ernsten Blick auf die Gesellschaft.Genau deshalb entschied man sich auch dafür,die Hauptrolle der Mizzi mit der aus der TV-Show„Drag Race Germany“ bekannten DragqueenLoreley Rivers zu besetzen. Das ist nicht alsStunt-Casting zu verstehen. „Es geht um einHollywood von damals, viel Pailletten, Glitzer undÜberhöhung – wie eben auch im Drag. Und damitzeigen wir die echten Emotionen …“„Es geht um ein Hollywood vondamals, viel Pailletten, Glitzer undÜberhöhung – wie eben auch imDrag. Und damit zeigen wir dieechten Emotionen …“FOTO: DANIEL LUDWIG

kultur 23Straus’ „Hochzeit in Hollywood“ ist als einvergessener Schatz aus der Vergangenheitzu verstehen, der hier mit vielSorgfalt gehoben wurde. „1928 war es einriesiger Erfolg, aber durch die Machtergreifungist alles in Vergessenheit geraten“,erklärt Oliver Graf. Die Materiallagewar eine große Herausforderung. „Wirmussten beim Notenmaterialviel Nachhilfe leisten, da einigesverschüttgegangen war.Dafür haben wir auch Geld indie Hand genommen.“ Dochdas war es wert, um endlich,nach so vielen Jahren, diesesWerk wieder auf die Bühnezu bekommen. Trotzdemhatte niemand Angst, Handanzulegen, um es aktuell zugestalten. Im Original kannein Fürst die Liebe seinesSohnes Prinz Felix zu derSchauspielerin Mizzi nichtakzeptieren und versucht, dienicht standesgemäße Liaisonzu beenden. Das wird nun indie Gegenwart geholt: Ein erzkonservativerPolitiker mit traditionellemWeltbild versucht,die Beziehung seines Sohneszu der Dragqueen Mizzi zu zerstören.Das scheint zunächsterfolgreich zu sein. Bis diebeiden sich in Hollywoodwieder treffen … „Wir wollenmit einem heutigen Blick aufdas Stück schauen. Und wirkamen auf die Idee, dassdazu nur ein Besetzungskniffbenötigt wird: Das Politikersöhncheneiner konservativen Partei und als seinLove Interest ein Mann oder – einenSchritt weiter – eine Dragqueen. Das gibtdem Ganzen eine noch größere Fallhöheund schon dadurch können wir es insHier und Jetzt holen: Wir machen einequeere Liebesgeschichte!“Schon nach kurzer Zeit kamen sie dafürauf Loreley Rivers, die selbst am Theaterin ihrer Non-Drag-Persona arbeitet.Sie hat Musikwissenschaft mit Fokusauf Gender Studies sowie Gesang inDüsseldorf, Essen und London studiert,um danach als Dramaturgin amStadttheater Bremerhaven zu arbeitenund zurzeit an der Tonhalle Düsseldorftätig zu sein. Überhaupt lebt Loreley ihreLiebe für die Bühne, seitdem sie denkenkann. „Das ist ganz tief in mir verankert.“Bereits mit zehn Jahren spielte sie inEssen am Theater, „und schon vorherin kleinen Schauspielproduktionen inmeiner Heimatstadt, innerhalb des Choresund in Kinderrollen. Das Theater istein Zuhause.“ Vor allem, weil diese Weltsich als Safe Space für nicht-normativeFOTO: MIMIMAGICMenschen und nicht-normative Lebensentwürfeanbietet. „Die Szene ist tolerantmit toleranten Menschen, die Lust aufKunst haben und auch Drag als Kunsterkennen.“ Natürlich komme es trotzdemdarauf an, wer hinter einer Produktionstehe, gibt Loreley zu bedenken, „da gibtes auch schon Leute, die nicht so weitsind.“ Doch auch Oliver Graf empfindetdie Theaterwelt als progressiven undoffenen Bereich in der Gesellschaft.„Theater setzt sich immer für Vielfalt undDiversität ein. Es ist vielleicht nicht gleichein Safe Space – aber ein safer Space.Das versuchen wir zu fördern und allesweiter zu öffnen, auch wenn wir nochweit vom Idealzustand entfernt sind –zum Beispiel bei der Repräsentation vonMenschen mit körperlichen Einschränkungen.Doch wir versuchen immer, einbuntes, diverses Ensemble zu haben.“Daher hat Loreley auch nicht gezögert,als Oliver Graf sie anschrieb, damitsie sich für die Rolle der Mizzi vorstelle.„Ich dachte sofort: Ja – das will ich.Das ist eine einmalige Möglichkeit! Ichzögerte jedoch erst beim Vorsingen,weil die Rolle eigentlich für eineMezzosopranistin geschrieben ist, aberals Mann, als Countertenor, kommtman an sich nicht so hoch.“ Doch,wie der Regisseur erklärt, „ist dasüberhaupt gar kein Problem! Nur eineneue Besetzungsentscheidung.“ Denn,wie er weiter ausführt, sind Operettenals Material anzusehen. Anders beieiner Oper, „die spielt man, wie sie ist,und besetzt, wie es vorgesehen war.Bei Operetten hat man einen anderenZugang, da haben auch die Autorenimmer noch viel geändert. Es waren oftsingende Schauspieler*innen auf derBühne und man nahm einfach Arienrein und wieder raus, denn man hat dasStück immer passend für seinen Castgemacht. So waren die Aufführungenin Berlin damals auch anders als inWien. Und wir machen eine Show für2025 – mit der Originalmusik, aber auchmit Einlagen, wie ‚Ein Tag wie Gold‘ vonMax Raabe zum Beispiel.“„Es geht um die RoaringTwenties, ohne dass esnur an die alte Zeitangelehnt ist.“Den Showaspekt der Inszenierungbetont auch Loreley: „Esgeht um die Roaring Twenties,ohne dass es nur an die alte Zeitangelehnt ist.“ Wobei sie sich auchder besonderen Herausforderung derOperette stellt: „Es ist dieser Wechselaus Spiel und Gesang und vor allemdie Expression des Gesangs: Meist solles ja hauptsächlich schön sein undschön klingen – hier ist der Text jedochunfassbar wichtig und man muss sehrviel auf diesen Text legen. Und manchmalsogar zulassen, dass die Melodie inden Hintergrund tritt.“ Dabei ist immerdas Bewusstsein vorhanden, dass esnicht selbstverständlich ist, „dass maneine Dragqueen dafür castet. Ich fühlemich sehr geehrt, dass diese Kunstformmit mir so auf diese Bühne geholtwird.“ Die Frage, ob das Publikum dieseInszenierung annimmt, macht ihr auchkeine Sorgen. „Oft unterschätzt mandas Publikum und was es versteht. Klar,wenn man den ‚Freischütz‘ anbietet,dann erwartet man auch gewisseKonventionen. Aber bei einer Operetteoder einem Musical gibt es eine andereHaltung. Drag kann diese Landschaftwirklich bereichern und passt und kannwunderbar korrespondieren. Ich findedas ganz toll.“*Interview: Christian K. L. FischerSoiree: 15.2., Premiere 22.2.,weitere Vorstellungen: 1., 11., 16., 20. +28.3., theater für niedersachsen,Hildesheim, Theaterstr. 6,Infos und Karten: tfn-online.de

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