22 KULTURKLASSIKFOTO: THI THUY NHI TRAN / THEATERGEMEINDE HAMBURG E.V.JOHANNES WORMS UND NASTI :„Wir müssen wirklich aufpassen auf unsere Demokratie“Am 7. April spüren Bariton Johannes Worms (er/ihm) und Pianist*in Nasti (dey/deren) in der ElbphilharmonieHamburg „Männlichkeiten und queeren Utopien“ im Kunstlied nach. Ein Gespräch überqueere Codes und politische Rückschläge.In eurem Liederabend „Speak Low“ gehtes um „Männlichkeiten und queereUtopien“. Im Programm finden sichaber größtenteils Lieder männlicherKomponisten aus dem 19. und 20.Jahrhundert. Wie passen da queereUtopien hinein?Johannes: Wir haben dasselbe Unbehagenmit dem gängigen Konzertrepertoirewie mit der Gesellschaft: problematischeZüge von Geschlechtlichkeit undtraditionell definierter Männlichkeit.Deshalb wollen wir darin den männlichenBlick aufspüren. Heute reden wirnatürlich anders über Queerness alsim Biedermeier. Viele Lieder und ihredamaligen Kontexte sind aber ausheutiger Perspektive queer kodiert. Mit„Speak Low“ entziffern wir diese Kodesund zeigen, wie darin freiheitliche undwiderständige Äußerungen stecken. ImTitelsong heißt es: „Speak low when youspeak, love“. Diese Zeile beschreibt gut,was der Abend transportieren soll – einezerbrechliche, poetische Reflexion überGeschlechtlichkeit und Miteinander.Nasti: Queere Utopien gab es schonimmer. In historischen Schubertiadenetwa trafen sich Menschen, um gesellschaftlicheBedürfnisse frei auszuleben.Wir reisen musikalisch durch solcheSafe Spaces, etwa mit Schuberts Liedüber Memnon oder William BolcomsSong über die ermordete Trans-FrauGeorgia – ein bestärkendes Stück. Wirerläutern diese Zusammenhänge imKonzert, nehmen das Publikum an dieHand, verteilen Kostümteile und arbeitenmit Live-Elektronik, um die Stimmungzu unterstützen. Und es kommen auchMenschen zu Wort, die wir interviewthaben.Zur Blütezeit des Kunstlieds entstandein Künstlertypus, der seine Melancholie,Armut oder Verzweiflung offenzeigte. Bekam das tradierte Bild vonMännlichkeit bereits damals ersteRisse?Johannes: Ganz genau. Ich glaube,deswegen spüren wir beide aucheine intuitive Verbindung zu diesemRepertoire. Das Nachdenken darüber,was ich empfinde und fühle, könnteman als einen psychologischen Schrittbetrachten, der das traditionelle Bilddes starken Mannes unterläuft. DieseGedanken aufzuschreiben und dannauch noch aufzuführen, könnte man alseinen Akt der Befreiung betrachten.Nasti, seit vier Jahren stehst du offengenderqueer auf der Bühne – wie wardieser Schritt für dich und wie reagiertdie Klassikszene darauf?Nasti: Nach meinem Coming-outals nicht-binäre Transperson wurdeich zunächst oft überhaupt nichtverstanden. Pronomen wurden ignoriertoder verändert, und auch die Presseverwendete häufig falsche Pronomen.Veranstaltende änderten eigenmächtigdie Angaben in meiner Biografie, unserProgramm galt vielen als „zu politisch“,obwohl es sehr weich, zärtlich undpersönlich ist. Zwar ist inzwischen mehrOffenheit da, aber gleichzeitig erlebenwir politische Rückschläge, die unsSorgen machen. Gerade jetzt wollenwir unserer Community, die viel Angstempfindet, einen Raum zum Mitfühlenbieten – und zugleich das „klassischePublikum“ miteinbeziehen. Persönlichwar die Corona-Pause entscheidendfür mich. Sie hat mir den Mut gegeben,authentisch neu anzufangen und ehrlichzu mir selbst und dem Publikum zu sein.Im Januar wurde ein amerikanischerPräsident vereidigt, der ein erklärterFeind von Diversität und Gender-Gerechtigkeit ist. Befürchtet ihr, dassdiese neue Anti-Wokeness-Wellestärker nach Europa überschwappt?Nasti: Diese Welle ist schon längst da. Mitden Kürzungsbeschlüssen des BerlinerSenats wurden zuerst Diversitätsstellengestrichen und alle queeren Jugendzentrenin Berlin geschlossen. Es gibtdort keinen Anlaufpunkt mehr für jungequeere Personen, um sich Hilfe zu holen.Johannes: Ein weiteres Beispiel ist dasImpuls Festival in Sachsen-Anhalt, demdie CDU auf Druck der AfD die Förderunggestrichen hat. All diese Dinge passierenbereits und machen es uns schwer, weilVeranstaltende dann auch Angst haben,politische Künstler*innen einzuladen. Wirmüssen wirklich aufpassen auf unsereDemokratie.*Interview: Sören Ingwersen7.4, „Speak Low. Lieder über Männlichkeitenund queere Utopien“, KleinerSaal Elbphilharmonie Hamburg, 19:30Uhr, www.elbphilharmonie.de
KULTUR 23AUSSTELLUNG„RELATIONS“Noch bis zum 8. April wird „Relations – undandere Nahtstellen“ in der Galerie „FarbwerkeM6 Konterkaro“ zu sehen sein. DieAusstellung präsentiert die Werke desHamburger Künstlers Patrick Becker undumfasst zwei faszinierende Serien realistischerMalerei.Die Arbeiten der Serie „intra muros“ thematisierendie oft unsichtbaren, subtilen Aspektezwischenmenschlicher Beziehungen. DieWerke laden ein, zwischen den Zeilen zu lesenund die unausgesprochenen Emotionenund Dynamiken zu erfassen. Die zweite Serieträgt den Titel „Leerstellen“ und beschäftigtsich mit den Leerstellen der Interpretation.Hier geht es um die offenen Fragen undDeutungsräume, die zwischen den Betrachtendenund den abgebildeten Körpernentstehen. Beide Serien werden erstmalsgegenübergestellt, um so weitere Verbindungsebenenzu beleuchten. Es offenbarensich tiefere Zusammenhänge und Einblickein das Wesen von Beziehungen – und die Artund Weise, wie wir Kunst sehen.www.farbwerke-m6.deOlive Green Deep - Paynesgrey26. APRIL ’25NACHTWANDERUNG18 BIS 1 UHR | #LNDMHHWWW.LANGENACHTDERMUSEEN-HAMBURG.DEMit freundlicher Unterstützung von
Laden...
Laden...