28 WELLNESSPSYCHEVom Druck des„PERFEKTEN“SCHWULEN KÖRPERSFOTO: HARRISBURG PHOTOGRAPHER, PEXELS.COM, GEMEINFREIJung, schlank, muskulös, unbehaart, dynamisch – so siehtnoch immer das gängige männliche Schönheitsidealaus, das in allen Medien propagiert wird. „Schön anzuschauen“,denken die einen, bei anderen löst dieständige Konfrontation mit „perfekten Körpern“Selbstzweifel und Stress aus. Ein Gespräch mitTim Nik, Heilpraktiker für Psychotherapie mitSchwerpunkt queere Sexualtherapie, überKörperkult in der queeren Community. *bjöEin entspannterer Ansatz ist Body Neutrality:den Körper nicht ständig bewerten.Weniger geht nicht? Männliches Schönheitsideal.Grundsätzlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, sich körperlichfit zu halten; wann aber kippt ein solches gesundesKörperbewusstsein in Körper-Stress um?Ein gesundes Körperbewusstsein basiert darauf, sich umsich selbst zu kümmern, um sich wohlzufühlen – nicht, umeinem äußeren Ideal zu entsprechen. Doch in der heutigenZeit verschwimmen diese Grenzen oft. Wer mit Sport beginnt,weil es ihm gut tut, kann schnell in ein zwanghaftes Verhaltenabrutschen, wenn die Motivation nicht mehr aus Selbstfürsorge,sondern aus Unsicherheiten kommt. Kritisch wird es, wenndas Training oder die Ernährung zur fixen Pflicht werden, wennSchuldgefühle entstehen, weil man mal ein Workout auslässt,oder nicht „clean“ genug gegessen hat. Noch problematischerist es, wenn sich das Selbstwertgefühl nur noch am eigenenKörper misst. Wer soziale Aktivitäten meidet, weil sie denErnährungsplan oder das Training stören oder wer panischeAngst vor Gewichtszunahme hat, steckt möglicherweise bereitsin einer ungesunden Spirale. Ein weiterer Stress-Faktor ist dersoziale Vergleich: Wenn man sich ständig darüber ärgert, dassder eigene Körper nicht so definiert oder schlank ist wie der vonanderen, dann ist das ein Zeichen, dass sich ein ungesunderDruck aufbaut.In einer Welt, die zunehmend Diversity thematisiert, fühlen sichtrotzdem viele wertlos, wenn sie dem einen Körperbild nichtentsprechen. Ist das bei schwulen Männern ausgeprägter alsbei heterosexuellen Männern?Ja, in vielen Fällen ist der Druck innerhalb der schwulen Communitygrößer als bei heterosexuellen Männern. Ein Grunddafür liegt in der Art und Weise, wie Begehren funktioniert: In derschwulen und männlich-bisexuellen Welt sind Männer sowohldiejenigen, die bewerten, als auch diejenigen, die bewertetwerden. Da männliches Begehren oft stark visuell geprägt ist,entsteht eine doppelte Fixierung auf das Äußere. Während hete-
WELLNESS 29rosexuelle Männer oft auch durch Status, Humor oder Selbstbewusstseinals attraktiv wahrgenommen werden, reduziert sichAnziehung in der schwulen Szene häufig auf das Körperliche.Wer diesem Ideal nicht entspricht, kann sich schnell unsichtbaroder nicht begehrenswert fühlen. Auch die Darstellung in Medienträgt dazu bei: In Filmen, Social Media und Magazinen wird meistein bestimmter Typ Mann als attraktiv inszeniert, während andereKörperbilder kaum repräsentiert sind. Dieser ständige Druckführt dazu, dass viele schwule Männer versuchen, sich durchintensives Training, strenge Diäten oder sogar chirurgischeEingriffe an das Ideal anzupassen. Doch oft ist dieser Kampffrustrierend, weil das Ideal unerreichbar bleibt.Oftmals favorisiert man diese perfekten Körper als Ideal,obwohl man selbst dem Ideal nicht „zu genügen“ scheint.Wie bekommt man den Spagat hin? Kann man Bodypositivitylernen?Ja, Bodypositivity kann man lernen, aber es ist ein Prozessund kein Endzustand. Der Versuch, zwischen unerreichbarenSchönheitsidealen und der eigenen Körperwahrnehmungzu balancieren, führt oft in eine Sackgasse. Statt sichan den Idealen abzuarbeiten, wäre es sinnvoller,sie zu hinterfragen: Warum gelten bestimmteKörperformen als „perfekt“? Wie real sinddiese Vorstellungen in Zeiten von Filtern undBildbearbeitung? Warum messen wir unseremÄußeren so viel Bedeutung bei?wird. Selbstakzeptanz bedeutet nicht, dass man jeden Tag inden Spiegel schaut und sich perfekt findet. Ein entspanntererAnsatz ist Body Neutrality: den Körper nicht ständig zu bewerten,sondern ihn als funktionales Werkzeug zu sehen, das uns durchsLeben trägt. Letztlich geht es darum, den eigenen Körper wertzuschätzen,weil er uns Tag für Tag begleitet und vieles ermöglicht.Welche Rolle spielen Dating-Apps und Social Media in diesemZusammenhang?Dating-Apps und Social Media sind gnadenlos, wenn es um Körperbildergeht: Innerhalb von Sekunden entscheidet ein Swipe,ob jemand „begehrenswert“ ist oder nicht. Noch problematischersind explizite Ausschlusskriterien in Profilen wie „No Fats, No Fems“.Aussagen, die nicht nur abwertend sind, sondern auch eine klareNorm setzen, wer als attraktiv gilt und wer nicht. Auf Social Mediaist der Druck ähnlich, weil wir ständig perfekt inszenierte Körpersehen, die uns suggerieren, dass nur eine bestimmte Art vonKörper begehrenswert ist. Das beeinflusst das Unterbewusstsein,selbst wenn wir wissen, dass vieles bearbeitet oder gefiltertist. Ein Ausweg kann sein, bewusst Accounts zu entfolgen,die uns schlecht fühlen lassen und gleichzeitig mehrMenschen zu folgen, die echte Vielfalt zeigen undSelbstbewusstsein ausstrahlen. Und sich immerwieder klarmachen: Likes und Matches bestimmennicht den eigenen Wert. Wahre Attraktivitätentsteht aus Selbstbewusstsein, Ausstrahlungund Authentizität. Im realen Leben.Wichtig ist auch, sich nicht unter Druck zu setzen,den eigenen Körper unbedingt lieben zu müssen,wie es oft im Kontext von Bodypositivity gefordertTim NikFOTO: LEANDRA WEBER PHOTOGRAPHYTim Nik, Privatpraxis für Psycho- und Sexualtherapie(nach Heilpraktikergesetz),Frankfurter Str. 39, Offenbach, www.praxis-nik.de
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