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blu September / Oktober 2021

Gesundheit INTERVIEW

Gesundheit INTERVIEW FATFIGHTER_IN: Mäks Roßmöller über Coronabäuche und sexuelles Kapital FOTO: JUNO ROSENHAUS Die Pandemie macht wieder Sommerpause. Natürlich nicht der Virus selbst, aber die Menschen atmen durch und hoffen, dass alles vorbei ist. Unkenruf: ist es nicht. Der nächste Winter kommt. Also lieber vorbereiten und die Zeit nutzen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ein Gespräch über Glückshormone, Genuss und Körperfett. Warum leidet Mensch darunter, zum Beispiel „fett“ zu sein? Wichtig ist es zu verstehen, dass die Sicht auf den eigenen Körper ganz viel damit zu tun hat, wieviel sexuelles Kapital ich habe. Ich glaube, dass das in der Schwulenszene besonders verbreitet ist, weil Homosexualität bis 1969 komplett und bis 1994 noch teilweise kriminalisiert war unter dem Paragrafen 175. Die Befreiung aus dieser Unterdrückung macht Sexualität von schwulen Männern immer ein Stück weit politisch. Das ist glaube ich einer der Gründe, warum sie – und auch zu Recht – einen so großen Stellenwert hat. Unter den gängigen Schönheits- und Liebesnormen wird dieses sexuelle Kapital aber weniger, wenn der Körper mehr wird. Deswegen ist es total wichtig, sich selber mit der Frage zu beschäftigen, wie es mir mit und in meinem Körper geht, wenn Attraktivität nicht im Mittelpunkt steht. Kannst Du das erläutern? Die Frage, die mensch sich stellt, wenn er darüber nachdenkt, wie es ihm in seinem Körper geht ist die, ob mensch sich schön findet. Ich bin aktivistisch unterwegs, um Wege zu zeigen, wie du dich mit einer Wertschätzung im eigenen Körper verankern kannst, die unabhängiger davon ist, ob du dich oder ob andere dich attraktiv finden. Denn nur weil wer weiße, ableisierte und dünne Schönheitsnormen ablehnt, heißt das nicht dass wer sich im eigenen Körper wohl fühlt. Wie gehst du vor? Einerseits biete ich Körperkurse namens „Fettgewebe begegnen“ an, in denen ich meine Favorite Fat Facts teile und Fettgewebe ins Spüren bringe. Andererseits arbeite ich therapeutisch mit Einzelpersonen, z.B. im Format „Reclaim your Body_Fat“. Es beinhaltet 10 Sessions um eine wertschöpfende Beziehung zu dem eigenen Körper und Fettgewebe zu etablieren. Unabhängig vom konkreten Beispiel Coronabauch oder hochgewichtigen Menschen ist diese Arbeit eigentlich für jede*n Menschen geboten, weil wir alle älter werden.

Was meinst du? Über die Jahre verlieren wir alle unser sexuelles Kapital Stück für Stück. Das ist einfach ein Fakt, da Schönheitsnormen so stark an Jugend geknüpft sind. Ich habe schon oft von älteren schwulen Männern gehört, „früher war ich sexy, alle wollten mich und jetzt bin ich plötzlich unsichtbar“. Besonders wenn du daran gewöhnt bist diese Aufmerksamkeit zu bekommen und sie dann wegfällt und du das an diesem oder jenem Körperbereich fest machst, ist es enorm schwierig, diese eben beschriebene Beziehung aufzubauen. Kannst du es trotzdem versuchen, uns plastischer zu erklären? Es geht um folgende Fragen: Was macht es mit mir, meinen Körper außerhalb von Sexualität zu spüren? Wann und wie berühre ich ihn? Woran merke ich, was er braucht? Was wäre anders, wenn mein Körper mir ein zuhause ist? Wie wäre unsere Beziehung, wenn ich meinen Körper und mich nicht als von einander getrennt denke? Oft fühlt es sich so an, als gäbe es da meinen Körper und dann gibt es diese Fettschicht drumherum. Und die gehört nicht so richtig zu mir. Was natürlich überhaupt nicht wahr ist. In meinen Fettgewebs-Workshops geht es zum Beispiel explizit darum, sich wirkliches Wissen darüber anzueignen, was dieses Gewebe alles für mich macht und wie es aufgebaut ist. Im nächsten Schritt dann darum, dass man sich damit verbindet, es integriert als Teil des Körpers. Warum schwankt denn bei so vielen der Fettanteil im Körper? Warum besonders in der Pandemie? Oft wird vergessen, dass das Fett – ob mehr oder weniger davon gerade vorhanden ist – nicht ohne Grund da ist. Um das zu regulieren, werden Kalorien gezählt, die rein gehen und die rausgehen, dann wird ein Strich drunter gemacht und das Ergebnis entscheidet, ob ich zu- oder abnehme. Das ist in dieser unterkomplexen Form überhaupt nicht angemessen. Der Fettstoffwechsel hat zum Beispiel ganz viel mit unserem Hormonsystem zu tun und Stress spielt dabei eine riesige Rolle. Und damit kommen wir zur Pandemie: Die bedeutet Stress für den Körper, weil wir uns oft und lange Zeit im Angstmodus befinden. Vielleicht noch verstärkt, weil wir einsam und mit diesen Ängsten alleine sind. In diesem Angstmodus versucht der Körper unser Überleben zu sichern. Er wird sparsamer und lagert ein bisschen mehr ein. Und eigentlich würde sich das auch wieder geben, wenn die Angst nachlässt. Aber? Wenn jetzt, in dieser Situation angefangen wird, Diäten zu machen, bedeutet das für den Körper wieder Stress. Der führt wieder zur Anlagerung von Überlebensreserven. Der Jo-Jo-Effekt? Entschuldige den Frauenmagazin-Jargon. (Lacht) Genau. Mit der Bewegung ist es übrigens das Gleiche. Bewegung wird mit Abnehmen und Dünnwerden gleichgesetzt. Und durch diese Verknüpfung wird etwas, das eigentlich ein Quell von Freude sein und hormonell Glücksgefühle auslösen sollte, zu einem Mittel zum Zweck. Zu einer Art Zwang, der keinen Spaß mehr macht und der dann auch wegen der unheimlichen Überwindungskraft, die es braucht, gegen diesen Zwang anzukommen, irgendwann sein gelassen wird. Und was passiert dann? Du bist gestresst, frustriert und „frisst“ vielleicht diesen Frust im wahrsten Sinne in dich rein, was danach zu einer weiteren Frustration führt so nach dem Schema „was bin ich eigentlich für eine Gierlappen“. Es ist ein Geburtsrecht des Menschen, Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen. Und wie verhindere ich diese Abläufe? In den zehn Sessions ist das ein großer Themenbereich. Was brauche ich wirklich? Woher weiß ich eigentlich, dass ich essen will? Woher weiß ich eigentlich, dass ich Bewegung brauche? Woher weiß ich, dass ich Schlaf brauche? Eine Spürnase für diese körperlichen Signale zu trainieren. Helfen da nicht die Fitness-Smart- Gadgets ganz gut? Nee. Im Gegenteil. Die Dinger führen letztendlich dazu, dass du weniger von deinem Körper wahrnimmst und mehr wahrnimmst, was da auf einem Display steht. Wenn du dich selbst erfahrbar machst, dann merkst du viel besser, was du, was dein Körper braucht. Das kann dann manchmal die Schokolade sein, aber es kommt in meinen Kursen immer wieder zu der Erkenntnis, dass ihnen das gar nicht so gut schmeckt, wie sie immer dachten. Weil sie vielleicht immer hungrig und unterzuckert dazu gegriffen Gesundheit haben. Wie gesagt. Es ist ein Spürnasentraining. Letztendlich geht es darum, die Handlungsmöglichkeiten der Menschen zu erhöhen, um sich selber mit dem was und wie sind, okay zu fühlen. Auf dem Weg dahin geht es gar nicht so sehr um die Sessions selber, sondern die Zeit dazwischen. Was verändert sich konkret, was ist wirksam für mich und meinen Körper und wie bekomme ich es hin, diese Trennung aufzuheben. Ich danke dir! Hast du noch ein Schlusswort für uns? Ja. Es gibt einen Dreiklang, den ich sehr spannend finde: „Ich bin attraktiv“, „ich werde begehrt“ und „ich bin liebenswert“. Es ist glaube ich ein Geburtsrecht des Menschen Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen. Das bedeutet, dass die Aussortierung nach Attraktivität im Widerspruch zu diesem Geburtsrecht steht. Im Widerspruch dazu geliebt zu werden und zu lieben. Da bekommt die Arbeit am Körper eine politische Dimension. Es wird meiner Erfahrung nach viel schwerer, andere Körper und Menschen abzuwerten, wenn du anders mit deinem eigenen Körper im Bezug bist. Das heißt nicht, dass du dich in alle verlieben musst: das wäre Quatsch. Aber: Es eröffnet dir Wege, auf respektvolle Art und Weise, die eigene Angst vor dem Verlust von sexuellen Kapital nicht darüber auszutarieren, indem du andere Menschen abwertest. Und das ist glaube ich auch eine Pflicht, gerade innerhalb einer marginalisierten Gruppe, aber auch grundsätzlich: dass wir uns mit Wertschätzungen, Zärtlichkeit und Freundlichkeit begegnen. *Interview: Christian Knuth INFO Mäks’ Pronomen Ber ist ein nichtbinäres Pronomen, das an eine fette queere Männlichkeit referiert, angelehnt an die schwule Bärenszene. An tätigkeitsbezogene Substantive wird ‚_in‘ angehängt, wie zum Beispiel bei Autor_in. Die damit einhergehende sprachliche Irritation und zärtliche Verstörung der Zweigeschlechtlichkeit ist ausdrücklich erwünscht. Alle Angebote sind in Berlin (Ostkreuz) oder online möglich. Mehr Infos über systemische Therapie/ Beratung, Workshops und Fortbildungen hier: www.maeks.me

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blu, hinnerk, gab, rik, Leo – die Magazine der blu Mediengruppe erscheinen monatlich in den Metropolen Deutschlands. Die nationale Reichweite der Magazine ermöglicht den reisefreudigen Lesern Zugriff auf alle Informationen immer und überall. Themenschwerpunkte sind neben der regionalen queeren Szene, Kultur, Wellness, Design, Mode und Reise. Unsere Titel sind mit der lokalen Community jahrzehntelang gewachsen und eng verbunden, was durch Medienpartnerschaften mit den CSD-Paraden in Hamburg, Berlin, München und Frankfurt sowie zahlreiche Kooperationen, wie der Christmas Avenue in Köln, seinen Ausdruck findet.