40 Wahl INTERVIEW SEBASTIAN CZAJA: „Ich möchte, dass wir einen neuen Stil von Politik finden.“ FOTO: FDP BERLIN / JULIANE HUETTL Corona, Regenbogenzebrastreifen, Digitalisierung. Und überraschende Verbindungen zwischen zwei Lagern, die sich nach alter politischer Geografie eigentlich konträr gegenüberliegen. Wir sprachen mit Sebastian Czaja, FDP- Vorsitzender und Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Die Grünen haben im letzten Jahr eine große Bilanz zur Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt” (IGSV) erstellen lassen. Besonders bei der Umsetzung von zum Beispiel Angeboten für Senioren oder Jugendliche hapert es erheblich. Wie steht die FDP zur IGSV? Naja, sie haben ja den Zustand beschrieben. Die Frage ist, welche Steuerungsmöglichkeiten man besser hätte nutzen können. Ich glaube schon, dass mehr möglich wäre. Mein Eindruck ist aber auch, dass manche Initiativen in den Bezirken ausgebremst werden, weil sie nicht – in Anführungsstrichen – von der richtigen Seite kommen. Wie der Regenbogenzebrastreifen zum Beispiel. Aber zurück zum Thema ehrenamtliche Selbstorganisation: Wie zum CSD erwähnt, wollen wir mehr Möglichkeiten, mehr Räume für diese ehrenamtlichen Projekte schaffen. Deshalb haben wir uns jetzt auch noch mal für eine Zwischennutzungsagentur, sogenannte Transiträume stark gemacht. Da wo wir Leerstand haben, diesen gerade auch im Kulturbereich, im Kunstbereich, aber auch im Bereich von ehrenamtlicher Selbstorganisation zur Verfügung zu stellen. In den Außenbezirken stehen wir hier vor ganz besonderen Herausforderungen, weil sich bisher alles auf die Innenstadt fokussiert und konzentriert. Es gibt Projekte wie den Regenbogen Reinickendorf e.V., der dort für Sichtbarkeit und Aufklärung eintritt. Das ist ein Beispiel, von dem wir glauben, dass es noch viele mehr geben sollte und wir haben mit dem Verein deshalb gemeinsame Aktivitäten wie queerpolitische Bootsfahrten gemacht, um in Reinickendorf Unterstützung auch außerhalb der Szene zu aktivieren. Das müssen wir in allen Bezirken hinbekommen, denn Symbolpolitik und eine Fokussierung auf die Innenstadt reichen am Ende nicht aus. Leerstand für Kultur und Ehrenamt nutzen: Müssten Sie nicht eigentlich bei Klaus Lederer offene Türen einrennen? Ja, müssten wir eigentlich. Auch wenn man in den Koalitionsvertrag guckt, müsste man. Aber da ist nichts passiert. Die Bilanz ist erschreckend. Zu sogenannten Zwischennutzungsräumen und den Transiträumen oder der Zwischennutzungsagentur haben wir eine große Anfrage gestellt, weil die Koalition nicht den großen Schritt geschafft hat, der im Koalitionsvertrag verabredet war. Da ist man weit, weit hinter dem, was man haben wollte und könnte. Mir fälltspontan auch nur das Haus am Alexanderplatz ein. Ja. Wir haben aber natürlich, wenn ich in die Fläche gehe, wesentlich mehr Potenzial. Die Frage ist, wie es organisiert wird. Private Vermieter haben das, was im Koalitionsvertrag verabredet war, teilweise bereits schneller und besser auf den Weg gebracht, als es der Staat konnte. Man muss sich die Frage stellen, wie wir diese private Initiative mit öffentlichen Flächen zur Zwischennutzung, z.B. über eine gemeinsame Plattform, verbinden können. Wie muss ich das aufsetzen, damit wir dort schneller werden? Wir haben ja nicht nur im queeren Bereich, sondern insgesamt an sozialer Infrastruktur einen hohen Bedarf. Für das Stadtteil- und Quartiersmanagement und all die Fragen. Sie meinen also den klassischen FDP-Ansatz, dass die Wirtschaft es besser kann ... Bei einer Zwischennutzungsagentur sind wir ja im Bereich der staatlichen Einrichtungen, und schauen da, wie der Staat mit seinen Immobilien und mit seinen Liegenschaften umgeht. Stellt er Räume zur Verfügung oder lässt er sie unbewirtschaftet liegen. Das ist der eine Bereich. Und der andere Strang ist alles, was sich im Privaten abspielt. Und da habe ich Ihnen ja gerade meine Eindrücke beschrieben. Die Pandemie war für LGBTIQ*s besonders einschneidend. Wurde genug getan? Also, ich will erst mal sagen, dass die LSBTI-Beratungsstellen hervorragende Arbeit geleistet haben. Und das, obwohl sie am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten stehen. Das muss man auch noch mal berücksichtigen parlamentarisch. Als FDP-Fraktion haben wir immer sehr kritisch hinterfragt, ob Regelungen auf
Wahl 41 die Lebensverhältnisse angepasst sind, und gesagt, wir dürfen nicht mit Rechtsverordnungen große Teile, auch der Community, in die Isolation drücken. Da haben wir wirklich laut gerufen und auch immer wieder gerungen und haben gesagt, dass das nicht passieren darf. Und wir haben auch deutlich gemacht, dass der Mitteleinsatz für die digitale Ausstattung oder Ausrüstung gut ist, aber dass er am Ende ja nicht den Wegfall von soziokultureller Infrastruktur ausgleicht. Es war uns immer wichtig zu schauen, Räume des Austauschs und der Begegnung trotz Pandemie zu ermöglichen. Mit den Regeln, mit Gesundheits- und Hygienekonzepten. Das haben wir ja auch schon zu Beginn der Pandemie gleich gefordert und es wäre sicher sinnvoller gewesen und wahrscheinlich auch hilfreicher, als ungenehmigte Partys im Total-Lockdown. Schon wieder eine Gemeinsamkeit mit Klaus Lederer. Irgendwie auch eine Nebenwirkung von Corona, dass wir eine lebendige Demokratie entlang der Ideen und Visionen für Problemlösung entwickeln, oder? Ja. Aber. Wir haben als FDP das Parlamentsbeteiligungsgesetz in Berlin nicht nur eingebracht, sondern durchgebracht. Wir haben dafür eine breite Mehrheit bekommen. Das ist das umfassendste und weitreichendste Gesetz, was in der Pandemie in einem deutschen Landtag verabschiedet worden ist. Dieses Gesetz haben wir ja nicht gemacht, damit es sich besser anfühlt, sondern wir haben dieses Gesetz gemacht, damit wir es besser machen können. Und dann gestatten sie mir an dieser Stelle schon noch Kritik, weil dieses Parlamentsbeteiligungsgesetz sollte auch den Regierungsparteien im Senat die Möglichkeit geben, über ihre Fraktionen im Parlament Parlamentarismus zu leben. Für Grund- und Freiheitsrechte einzutreten. Ich kann mich an zahlreiche Debatten erinnern, wo sich so manch einer die Augen gerieben hat, dass FDP und Linke so nah beieinander waren, aber am Ende fehlte es an der Mehrheit. Das bringt mir dann eben auch nichts. Unsere Vorschläge wurden alle für gut befunden durch Redner der Linkspartei, aber es hat keiner die Hand gehoben, wenn es um die Abstimmung ging. Wir haben Spielräume wirklich mit Augenmaß, mit dem Skalpell, herausgearbeitet, weil wir gesagt haben, das sind nachweislich hervorragende Konzepte. Und es ist dann doch nicht passiert. Dann tut es mir leid, dann bleibt das am Ende leider auch nur ein Lippenbekenntnis von Herrn Lederer. Also doch keine Koalition mit der Linken? Es gibt eine klare Aussage von mir und von uns dazu. Ich möchte, dass wir einen neuen Stil von Politik in der Stadt finden. Der jetzige ist mir zu konfrontativ, der ist mir zu wenig lösungsorientiert und – Sie haben das gerade so schön gesagt – wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass wenn man ideologiefrei an Probleme herangeht, man auch gemeinsam an Lösungen arbeiten kann. Das wäre für mich ein neuer Stil für das nächste Jahrzehnt. Weil es geht nicht nur um den Wahltag, sondern es geht um das nächste Jahrzehnt für die Metropolregion Berlin- Brandenburg. Ich schließe aber eine Zusammenarbeit mit der AFD aus und ich schließe auch eine Koalition mit der Linken aus. Ich trete dafür an, dass es eine Koalition der Mitte gibt. Wir sind bereit, in einer solchen Koalition Verantwortung zu übernehmen. *Interview: Christian Knuth Das ganze Interview gibt es auf männer.media
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